Ob man nun Christ ist oder nicht – Pfingsten feiern wir alle gern mit. Aber was hat es damit auf sich? Und ist es heute noch wichtig?
Ich selbst habe viele Jahre in einer pfingstlichen Gemeinschaft gelebt, in der dieses Fest eine zentrale Rolle spielte. Die Erfüllung mit dem Heiligen Geist klingt abstrakt – stellt euch einmal vor, was wirklich geschah:
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Verfolgt, verloren, einsam…
Vor Pfingsten war da eine Gruppe von 120 Freunden, die ihren Mittelpunkt verloren hatten – das Wichtigste in ihrem Leben, ihren besten Freund: Jesus. Voller Angst, ohne Hoffnung und Orientierung saßen sie beieinander. Obwohl sie eine große Gemeinschaft bildeten, fühlten sie sich einsam.
Ich stelle mir vor, wie sie zunächst in kleinen Gruppen zusammensaßen und von den guten alten Zeiten schwärmten. Doch ganz sicher aber haben sie auch gejammert: Wie sollen wir ohne ihn weiterleben? – „Wos sull oak warn?“ Sie waren ganz auf ihre Angst und ihren Verlust fokussiert. Sie waren voller Verzweiflung.
Es war ein bunter Haufen. Mit viel Potenzial für Streit und Zank wegen der vielen unterschiedlichen Meinungen:
- Matthäus, der Zöllner – Beamter des römischen Staats. Regeln waren sein Leben, für alles gab es eine Vorschrift.
- Petrus – redete gern, voller Kraft und Tatendrang, manchmal sich selbst überschätzend und großspurig, dann wieder voller Angst.
- Andreas – sein Bruder, auch Fischer und zuerst ein Jünger von Johannes dem Täufer
- Jakobus – impulsiv, ungeduldig, mit seinem Bruder Johannes die „Donnersöhne“: Kerle mit feurigem Temperament, schnell auf 180, überzeugt von ihrer eigenen Meinung.
- Bartholomäus – nüchtern, geradlinig und genau. „Die Wahrheit“ war ihm oberstes Gebot, ohne Platz für Kompromisse.
- Der kleine Jakobus – hatte sicher oft das Gefühl, zu kurz zu kommen. Er wusste, wie es ist, benachteiligt, nicht ernst genommen und übersehen zu werden.
- Philippus – ein stiller Helfer und tief spiritueller Mensch
- Thaddäus und Simon – tief religiöse Männer. Politische Eiferer, Zeloten, bewaffnet, kompromisslose Kämpfer. Sie glaubten, nur durch Gewalt könne man das Richtige durchsetzen. Sie hofften auf Jesus als starken Mann, der aufräumt. Law & Order.
- Thomas – der Mann mit dem großen Aber, der ewige Bedenkenträger. Er zweifelte, stellte alles infrage, musste alles zweimal prüfen. Ein Schwarzseher… und dann doch mutig vorne mit dabei.
- Johannes – der Lieblingsjünger Jesu. Jung, temperamentvoll und feinfühlig zugleich, auf der Suche nach einer neuen Sprache für den Glauben. Auf Bildern oft sehr weiblich dargestellt. Vielleicht war er divers, vielleicht liebte er Männer. Auch das wird es damals schon gegeben haben.
- Die Brüder Jesu – Familie bringt ihre ganz eigenen Dynamiken mit.
- Judas Iskariot war nicht mehr dabei. Er war der Schatzmeister gewesen – und hatte sich aus Scham das Leben genommen.
Dazu eine große Anzahl von Frauen, die sich um das leibliche und seelische Wohl kümmerten; Mütter der Jünger; wohlhabende Unterstützerinnen; Frauen, die von Jesus von Ängsten oder Depressionen befreit worden waren. Sie alle trugen, versorgten und finanzierten die Gemeinschaft.
Eine Truppe, die sich von der Welt abgeschottet hatte und ängstlich beieinandersaß.
Für mich ein Abbild unserer heutigen, vielschichtigen Gesellschaft in Deutschland.
Und dann – Pfingsten.
Am Pfingstfest veränderte sich alles.
Ein Brausen. Etwas bewegt sich. Nicht außen, sondern innen.
Sie spüren:
Wir sind nicht mehr allein.
Wir sind nicht mehr ohnmächtig (ohne Macht).
Wir sind verbunden.
Und sie beginnen zu sprechen – mit Begeisterung. In einer neuen Sprache:
Einer Sprache der Hoffnung, der Wertschätzung, der Freundlichkeit, der Zuversicht …
Plötzlich war da eine Aufbruchstimmung (erinnert mich an die Zeit der Wende 89). Sie erkannten ihre Gaben und Talente, spürten ihre Selbstwirksamkeit und brachen auf – jeder auf seinem persönlichen Weg. Um die Welt durch ihre Botschaft zu verändern. Bis heute – mutig, voller Zuversicht, bereit auch zu scheitern.
Was hat das mit uns heute zu tun?
Auch wir leben in einer Zeit der Angst, des Zweifels, der Widersprüche.
Aber wenn wir lernen, in einer neuen Sprache miteinander zu sprechen, dann kann auch heute etwas Neues entstehen. Nicht perfekt. Aber kraftvoll.
In unserem Land, in unserem Amt, in den sozialen Medien …
brauchen wir eine neue Sprache:
- Eine Sprache der Wertschätzung statt ständiger Kritik.
- Eine Sprache der Zuversicht statt Angstmacherei.
- Eine Sprache der Aufrichtigkeit statt Beschuldigungen.
- Eine Sprache der Klarheit statt polemischer Übertreibungen
- Eine Sprache der Freundlichkeit statt herabsetzender Worte.
Deshalb braucht unser Land Pfingsten.
Deshalb brauchen wir – jeder Einzelne – Pfingsten.
Diese Erinnerung. Diese Begeisterung.
Voll Hoffnung, Liebe und Wertschätzung miteinander reden und umgehen,
statt aufeinander verbal – oder gar tatsächlich – einzuschlagen, nur weil wir unterschiedlicher Meinung sind.
Die Gewissheit der Selbstwirksamkeit:
Ich bin wichtig.
Ich kann etwas tun.
Mein Tun bewirkt etwas.
Es macht einen Unterschied in dieser Welt.
Der Mut, einfach zu machen. Loszugehen.
Der Mut, Fehler zu machen.
Der Schritt ins Ungewisse, ins Risiko …
Pfingsten heißt:
Du bist nicht allein.
Du bist wichtig.
Und: Du kannst es.
„Uns ist nicht gegeben ein Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit*.“
(nach 2. Tim 1,7)
Begeisterte Grüße – Henryk
* im Griechischen: sōphrosynē - gesunde Vernunft
Oft übersetzt mit „Besonnenheit“, „Selbstbeherrschung“ oder „Mäßigung“.
Es beschreibt die Fähigkeit, sich selbst zu beherrschen und seine Emotionen und Begierden unter Kontrolle zu halten. In der antiken griechischen Philosophie galt dies als zentrale Tugend: die Fähigkeit, maßvoll, vernünftig und besonnen zu handeln.