Wir Deutschen und unser Hitler

Wir Deutschen und unser Hitler

Lesezeit ca.: 6 Minuten

Hitler. Allgegenwärtig. Im TV, in den Buchläden, den Zeitungsregalen. Unser Hitler? In der ZDF-Mediathek 100 Titel … Was verbindet uns mit dem GröFaZ, dem größten Führer aller Zeiten? Warum so viele Dokumentationen, über diese unsere spezielle Vergangenheit? Geschichtsaufarbeitung?

Ein Fernseher mit einem Hitler-Cartoon

Images by ddzphoto, Alexander Antropov and vishnu vijayan from Pixabay

Triggerwarnung:
Ich versuche mich an einem brisanten Thema. In diesem Post bemühe ich mich um einen persönlichen und möglichst wertungsfreien Blick auf den Umgang von uns Deutschen mit Nationalsozialismus und Holocaust in den Medien. Ich werde verallgemeinern und ich werde provokante Fragen stellen.

Hitler – allgegenwärtig?

Ich schaue gerne arte und ZDF-Info. Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist, dass fast jeden zweiten Tag eine Sendung bzw. gleich eine ganze Reihe Sendungen nacheinander zum Thema Nationalsozialismus im Program ist. Hitler, Zweiter Weltkrieg, Bauten des Nationalsozialismus, Himmler, Göring, Goebbels, Auschwitz, der Flug von Rudolf Heß nach England und sein späterer Suizid im Strafvollzug. Hitler und seine Frauen, die Frauen im Nationalsozialismus, die Werwolf Kampagne, Geschwister Scholl Film. Hitlers Millionen, Beutekunst, Verfilmung der Wannseekonferenz … die Liste ist endlos.

Auffällig sind die ewig selben Filmschnipsel, in verschiedenen neuen Konstellationen. Ergänzt um nachgedrehte Szenen, Fotos, Interviews und Erklärungen von Experten.

Hitler ein medialer Verkaufsschlager?

Ähnlich sieht es aus, wenn man am Zeitungsregal im gut sortierten Fachhandel vorbeigeht. Stern, Spiegel, Focus, … die markanten Schwarz-Weiß-Fotos stechen aus dem bunten Einerlei der Illustrierten hervor.

Hitler als identitätsstiftende Kultfigur?

Die Engländer haben ihr Königshaus. Die Franzosen haben Rosé, Croissant und Baguette. Die Schweizer haben ihre Banken und den leckeren Schweizer Käse. Die Österreicher den Kaffee und Sachertorte. Und die Deutschen? Die haben ihre schnellen Autos, die Autobahnen und (ihren?) Adolf.

Eine ältere Dame im Interview über ihre Kaffeekränzchen in der Nachkriegszeit:
„Wenn wir uns heimlich getroffen haben, nannten wir ihn dann nur USA. Unseren seligen Adolf.“

Irgendeine der vielen ZDF-Info Doku’s

Erst neulich fuhr vor mir ein alter Golf, der im Kennzeichen die 8818 hatte. Für alle, die es nichts wissen: Dies ist ein Synonym für Heil Hitler und Adolf Hitler.

  • Haben wir Deutschen ein Identitätsproblem?

Hitler als Ausrede?

Was, wenn vieles von unserem Umgang mit Hitler und Nazikram eine Ausrede ist? Weil wir als Deutsche, als Volk (noch) keine neue, eigene, mit unserer Vergangenheit versöhnte Identität aufgebaut haben?

Wir werden gebraucht, unsere Intelligenz und unter unsere Ideen, unseren ganzen Einsatz zum Stopp/Verlangsamung des Klimawandels, zur Reinigung der Meere, zur Erhaltung der Arten … die Rettung der Welt braucht uns. Verstecken wir uns hinter einem: Wir waren doch die bösen Deutschen, wir dürfen doch nicht so vorlaut sein und uns vordrängeln mit unseren Ideen, wir müssen uns schön anständig zurückhalten?

  • Haben wir im Hinterkopf: Achtung, Deutsche haben eine schlimme Vergangenheit?
  • Was wären wir ohne Hitler und die Nazis?
  • Wer könnten wir sein und was hätten wir dieser Welt zu geben?
  • Wie könnte eine mit unserer Vergangenheit versöhnte Identität für uns Deutsche aussehen?

Der Nationalsozialismus und ich

Ich selbst bin im Osten aufgewachsen. Da gehörten Anti-Kriegsfilme zum abendlichen Programm. Die „guten“ Russen gegen die „bösen“ Nazis. Meine Lieblingsserie war „Archiv des Todes“. Ich selbst hatte zur Jugendweihefahrt 1984 mit meiner Klasse das KZ Buchenwald besucht. „Die Abenteuer des Werner Holt“ waren Pflichtlektüre, ich las es in den Winterferien in Polen. Später sah ich mir die dazugehörige DDR-Verfilmung an. Zur Abschlussprüfung in Deutsch war mein Aufsatzthema eine Ausarbeitung zum Buch „Nackt unter Wölfen“. Dies ist ein Roman über die Rettung eines jüdischen Kindes im KZ Buchenwald. Später entwickelte ich großes Interesse für entsprechende Museen. Peenemünde, Bunkeranlagen an der polnischen Ostsee und Geschützstellungen in Colleville-sur-Mer, der französischen Normandie. Mich faszinierte die Technik. Das Grauen dahinter, mit den oft riesigen Zahlen an Opfern, blieb für mich – im Sinne des Wortes – unfassbar.

  • Was steckt hinter diesem scheinbaren Interesse an den ganzen Nazi-Kram? Ich weiß es bis jetzt nicht.

Überwältigt von Auschwitz?

Gestern sah ich eine Dokumentation über Auschwitz. Interviewt wurde eine Frau, welche 1944 als junges Mädchen aus Ungarn deportiert wurde und überlebt hat. Ebenso ein ehemaliger Häftling, der zur „Beräumung“ der Gaskammern und die anschließende Verbrennung der Leichname gezwungen worden war. Zwischendurch waren Fotos des Lagerfotografen zu sehen. Er hatte einen kompletten Tag im Lager für den Lagerleiter Rudolf Höß dokumentiert, damit sich dieser später bei Himmler mit seiner „hervorragenden“ Arbeit einen Namen machen konnte.

Abgestumpft durch Infotainment?

Die Terra x Doku nutzte die Bilder aus dem „Auschwitz Album“ (jetzt in der Gedenkstätte Yadvashem) und ergänzte diese um nachgestellte Szenen, Interviews und Erläuterungen, um daraus eine persönliche Geschichte entstehen zu lassen. Ein Foto zeigte Frauen, die ahnungslos an Bäumen lehnten, um sich auszuruhen und Kinder, die herumtollten. Auf weiteren Bildern waren im Hintergrund die Gaskammern zu sehen.

Abstand durch Sachlichkeit?

Mit derselben kühlen sachlichen Effizienz, mit welcher diese Menschen wenige Minuten später industrialisiert ermordet wurden, erklärte der Geschichtswissenschaftler die entsprechenden Vorgänge. Viele lange Sekunden wurde auf das Gesicht eines Kindes gezoomt, das direkt und unschuldig in die Kamera schaute. Ich war verwirrt. Mir fehlte das Gefühl, Mitgefühl, Trauer, Wut, Ekel. In dem Vortrag und ebenso bei mir selbst. War es durch die endlosen Unterrichtsstunden, Filme und Dokumentationen bereits abgestumpft?

Das sind unsere Großeltern und Urgroßeltern, welche da auf diesen Fotos und Filmausschnitten zu sehen sind. Fotos von Ausflügen, Feierlichkeiten und musikalischen Auftritten des Lagerkommandos. Als Wachmänner und Frauen, als Personal in den Lagern, bei den Transporten und Abfertigungen. Als willige Helfer der Vernichtungsindustrie. Doch ebenso in den Zügen, an den Rampen, als Menschen, welche vernichtet wurden.

Erst vor einer Woche hatte ich im Status bei einem Bekannten ein Video gesehen. Da verblutet der ein Mann vor laufender Handykamera, ohne dass ihm der Filmende zu Hilfe kam. Ihm war bei einem Handgemenge die Halsschlagader aufgeschnitten worden. Nach dem Video war mir schlecht.

Holocaust, Trauma der Nachkriegs-Deutschen?

Genau nach diesem Gefühl suchte ich. Ich konnte es nicht entdecken. Die Informationen des Filmes waren grauenvoll. Dennoch konnte ich mich nicht losreißen und wegschalten. Glücklicherweise wurde ich durch einen Anruf unterbrochen und beendete die Dokumentation an der Stelle, als über den Einsatz von Zyklon B in den Gaskammern berichtet wurde.

Wirkt diese Art von „Geschichtsunterricht“ ähnlich wie Horrorfilme? Man gruselt oder ekelt sich und kann dennoch nicht wegschalten, weil irgend inneres Bedürfnis sich daran ergötzt? Ist das Grauen so gewaltig und unvorstellbar, dass es uns nicht mehr erreicht? Sind wir von einem zu viel und einem zu zeitig traumatisiert?

Aus der Traumaforschung ist bekannt, dass unser Körper einen Schutzmechanismus bei überwältigenden Eindrücken und Situationen aktiviert. Er wählt die Erstarrungsreaktion, um unser Nervensystem und unsere Psyche zu schützen. Dies ist ein intelligenter Mechanismus, der bei allen Lebewesen in Gefahrensituationen zum Einsatz kommen kann. Wir frieren ein und fühlen in diesem Bereich nichts. Wir sind wie taub.

Weitere Bilder zu dem Thema befeuern einen Trauma-Teufelskreis: Sie führen zur erhöhten Erregung unseres Nervensystems. Das Alleinsein mit der Situation, das „nicht fühlen“ unserer Körperreaktionen, und die weitere Überflutung verhindern einen Ausstieg, (oder wie bei den Tieren die Flucht). Wir erleben Angst, Schrecken und Hilflosigkeit und wieder tritt der Hilfsmechanismus des Erstarrens ein.

Gibt es einen Ausweg?

Was uns aus der Misere helfen kann, wäre die kollektive Traumaheilung. Wir benötigen Ruhe, Geborgenheit und Sicherheit. Eine Gruppe, die in positiven Anliegen zusammenkommt, kann uns diesen Raum geben. In dieser kollektiven Verbundenheit kann der Teil in uns auftauen, dadurch diese unfassbaren Bilder eingefroren wurde.

Dies ist meine ganz persönliche Reise, wie ich es empfinde und welche Gedanken mir dabei gekommen sind. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und noch weniger das dies alles so korrekt ist … Danke Candy, für die Ergänzungen. Ein fortführender Artikel zum Thema Vergebung ist bereits in Arbeit.

Danke für deine Zeit
Liebe Grüße Henryk

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