Selfis – Wozu du sie brauchst

Lesezeit ca.: 6 Minuten

Jederzeit und überall klicken unsere Smartphones. Selfis. In Athen, auf Malle, in Berlin, beim Essen… Milliarden Fotos auf Millionen Handys. Wozu? Zur Erinnerung! Woran? Mein Leben!

Zwei Mädchen beim Selfi
Ohne Selfi – nicht gelebt
Image by Luis Wilker Perelo WilkerNet from Pixabay

Seit der digitalen Revolution auf unseren Telefonen und Fotoapparaten, stapeln sich abertausende von Fotos auf SD-Karten, USB-Sticks und Festplatten… Meine Tochter hatte in zwei Jahren mal 75.000 Fotos auf ihrem Handy (100 am Tag). Ich erinnere mich noch an die „gute alte Zeit“ der Analogfotografie. Zuerst 24, später 32 Bilder mussten reichen für eine Woche Urlaub. Jedes Motiv sorgfältig durchdacht, goldener Schnitt usw… Den Film abgeben, eine Woche warten und dann die große Überraschung oder Enttäuschung. Noch in oder vor der Drogerie hab ich mir die Fotos angesehen. Mein erster „Photoapparat“ war eine Kamera mit Lederbalg und 11 schwarz-weis Fotos in 1:1 Abzügen von 7 x 9. Heute werden überall und zu jeder (UN)-Zeit Fotos und vor allem Selfis gemacht. Warum eigentlich?

Aus Unsicherheit

Aus Unsicherheit? Ja! Wir sind uns unserer selbst nicht mehr sicher, bewusst. Wir brauchen die vielen tausend kleinen bunten Bildchen zur Selbstbestätigung. Dass wir da sind, existieren. Und nicht nur das, sondern auch, dass wir wichtig sind und unser Leben perfekt. Welches Gesetz gibt vor, wie unser Leben auszusehen hat?

Selfis bestimmen deine Gegenwart

Viele Menschen stellen sich das Leben, weniger bewusst, als einen Strahl, eine Linie vor. Das Time-Line-Modell. Das ICH in der Mitte, die Vergangenheit da hinten und die Zukunft da vorne. Und all meine Erlebnisse als hübsche Fotos an dieser Schnur aufgereiht. Oder so ähnlich. Mein Selbstbild, das heißt, wie ich mich empfinde und als Menschen bewerte, speist sich aus meiner Vergangenheit. Aus all den bunten Bildchen. Aus all den Erinnerungen an – vermeintliche – schöne und schlechte Erlebnisse.

Erinnerungen können sich mit der Zeit komplett verändern. Durch geschickte Manipulation ist es möglich, sich „sogar“ an Dinge zu erinnern, die niemals (so) stattfanden.

Gutes muss überwiegen

Ob in der Partnerschaft, im Job, beim Sport oder der Kindererziehung. Für eine positive Einschätzung bedarf unser kleines ICH einer Ratio von 1:5. Ein schlechtes Erlebnis benötigt mindestens fünf gute zur Kompensation, damit sich unserer innerer Kritiker zufriedengibt. Unsere genetische Prägung sorgt dafür, uns auf Schwierigkeiten und Risiken zu konzentrieren. Das war tausende Jahre überlebensnotwendig und funktioniert bis heute.

Deswegen brauchen wir möglichst viele bunte Bildchen von tollen Erlebnissen auf unserem Instagram oder Facebook Account. Ein schön hergerichtetes Essen, ein Smoothie oder teurer Kaffee Latte, jeder Urlaub megatoll. Egal. Hauptsache viel und Hauptsache toll. Viele fühlen sich abgehängt mit Ihrem „normalen“ Alltag und unter Stress in diesem „fiesen Wettbewerb“ um Anerkennung.

Zwei Puppen machen ein Selfi
Toller Urlaub – nur mit Foto existiert er wirklich.
Image by Sonyworld from Pixabay

Du „brauchst“ Erinnerungen

Das mit dem Füttern des Selbstbildes funktioniert, wenn du dir die Erinnerungen bewusst machst. Wenn sie präsent sind. Hier kannst du feststellen, das eine „Vergangenheit“ nicht wirklich existiert. Sie ist stets – bewusst oder nicht – präsent. In deiner Gegenwart. Wir treten eine Zeitreise an. Unser Flugticket ist das Foto. Zurück zu dem besonderen Urlaub auf den Malediven. Unser Gehirn bevorratet keine Filme oder Fotos. Es erzeugt die Erinnerung aus all den gespeicherten Fragmenten jedes Mal neu. Und anders. Teilweise werden über die Jahre die Verluste und Erfolge größer. Manche verlieren ihre einstige Euphorie und Überschwang – den wir empfanden. Die Erinnerungen – wie die Papierfotos – verblassen.

Erinnerung ist immer ein Gefühl

Erinnerungen sind nicht zuerst Bilder, sondern hauptsächlich Gefühl. Denken wir an schöne Dinge, kommt es zu einer Dopaminausschüttung, ohne das wir es „tatsächlich“ erleben. Traurige und schlechte Erinnerungen lassen uns Gruseln oder Bauchkneipen bekommen. Denken wir an schlimme Vorfälle, z.B. das Erleben eines Unfalls, schüttet unser Gehirn Adrenalin aus und der Puls steigt.

Mit jedem dieser Ereignisse wird eine persönliche oder fremde Bewertung verbunden. Da war ich toll. Als ich den Berg bestiegen hab, das erste Mal die Schwarze Piste fuhr, die Medaille errang. Unser inneres ICH wächst. Oh, da hat mich der Direktor aber fertig gemacht. Da wäre ich fast ertrunken. Als Marie mir einen Korb gab, das war peinlich. Unser ICH schrumpft und fühlt sich schlecht. So speisen wir unseren heutigen gefühlten „Marktwert“ aus all diesen Erlebnissen.

Tut dir das gut?

Ein klares Nein. Viele fühlen sich auf diesen digitalen Marktplatz der unbegrenzten Möglichkeiten untergehen. Sie kommen sich unsichtbar, klein und wertlos vor. Vor allem da gerade Vergleichen einer der besten Wege zum Unglücklichsein bereitet.

Wie ich darauf komme? Diesbezügliche Studien ergaben, das seit dem Erfolgskurs von Instagram die Anzahl von Suiziden innerhalb weniger Jahre auf 150 % stieg. Betroffen sind vor allem junge Mädchen zwischen 14 – 16. Posts welche von Selbstverletzungen berichten, stammen zu 90 % von Mädchen. Die Anzahl der betroffenen Jungs und der Suizidversuche erhöhten sich ebenso dramatisch. Wobei Jungs ihre Absicht dreimal häufiger vollenden.

Mädchen am Fenster mit Handy
Social Media macht unglücklich / Image by Anastasia Gepp from Pixabay

Wenn Du selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leidest oder jemanden kennst, der daran leidet, bitte lass Dir bei der Telefonseelsorge helfen. Ich habe dort in schwierigen Zeiten mehrfach angerufen. Gute Erfahrungen gemacht. Kompetente Seelsorger. Danke!

Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.

0800/111-0-111 und 0800/111-0-222
www.telefonseelsorge.de

Wie kannst DU das ändern?

Unsern „Inneren Kritiker“ von den vergangene Bewertungen befreien. Du deutest* negative Erlebnis um. Du änderst DEINE BEWERTUNG dieser Ereignisse. Der Vorfall selbst bleibt gleich, doch Deine Meinung darüber und vor allem Dein Gefühl wird neu „programmiert“.

Umdeuten = Refraiming: dem Bild einen neuen Rahmen geben.

Reise in die Vergangenheit

Du kannst das allein tun, indem du dich in die Situation zurückversetzt. Dein jüngeres ICH besuchst, mit ihm sprichst und erklärst, was da gerade geschah. Du verknüpfst die Dinge mit neuen aufbauenden Gefühlen und ÜBERSCHREIBST den negativen Unterton.

Für Traumata bedarf es eventuell einer professionellen Begleitung durch Therapeuten oder Coaches. Manche verwenden das Bild des Kinos, in dem du dich befindest und das Geschehen distanziert beobachtest und neu würdigst. Du kannst ebenso Engel einladen oder dir vorstellen, dass Jesus dich in dieser Situation besucht und beschützt.

Reise in die Zukunft

Besuche dein zukünftiges Ich. Schau dir an was du alles erreichen wirst und wie Glücklich du bist. Denke tagsüber daran und lass dein Dopamin fließen. Generiere daraus deinen neuen Selbstwert. Deine Zukunft ist jetzt!

Reduziere Social-Media

Handy mit Scrabble: Social Media
Die Social-Media-Zeit-Falle / Image by Firmbee from Pixabay

Die wirksamste Vorbeugung und vermutlich die Schwierigste. Falls diese Dinge einen wichtigen und festen Bestandteil deines Alltags darstellen, überlege wie du deinen gesamten Medienkonsum verringern kannst. Stattdessen diese Zeit in der Natur, beim Sport oder mit Freunden zu verbringen.

Hilfsmittel: Stelle tagsüber die Benachrichtigungen stumm. Nimm dir eine feste und begrenzte Zeit. Meinetwegen täglich 20.00 Uhr für 1,5 Stunden. Stelle dir deine Timer.

Also dann – Du brauchst kein Foto für Deinen Wert!
Dein Coach Henryk

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