„Die Kunst zu siegen, ohne zu kämpfen“

Lesezeit ca.: 9 Minuten

Der klassische Slogan östlicher Kampfkünste, so oder ähnlich als Titel vieler Bücher, Beiträge und Motivationsreden. Hier meine persönliche Zusammenfassung, mir wichtiger Passagen, aus dem Buch „Die Kunst zu siegen, ohne zu kämpfen“ (S.154-158). Eine von Pascal Faultiot 1981 angefertigte Sammlung kurzer östlicher Kampfkunstgeschichten. Aus dem französischen übersetzt von Loel Zwecker.

Henryk stellt das Buch „Die Kunst zu siegen, ohne zu kämpfen“ vor.

Wozu Kampf-Techniken?

Die Techniken wurden von den alten Meistern erfunden, um unseren Blick zu schärfen, welche Vorgehensweise im jeweiligen Fall die passende ist. Die Idee ist einfach und effektiv in der Anwendung. Im Prinzip enthält sie alle wesentlichen Aspekte der Kunst. Doch die technische Effektivität ist nicht das Ziel der Kunst. Die Technik ist nur das Mittel, nicht das Ziel der Kunst. Sie muss im Einklang mit dem Weg – dem Do – stehen. Dieser darf nicht vernachlässigt werden. Achtet man nur auf die reine Wirksamkeit, verkümmert die Kunst!

„Zuerst erlernen wir die Kampf-Techniken sehr sorgfältig, um sie nachher vergessen zu können“.

Bruce Lee zugeschrieben
Der ursprüngliche Ausspruch „Zuerst erlernen wir die Techniken, um sie nachher vergessen zu können“ stammt vermutlich von alten Zen-Meistern und ist ein wichtiger Aspekt des Zen-Buddhismus. Es beschreibt die Idee, Techniken und Methoden, welche beim Üben verwendet werden, letztendlich zu überwinden, um eine tiefere Verbindung mit dem Moment und mit dir selbst herzustellen.

Es weist darauf hin, dass die Techniken, schlicht und einfach Mittel zum Zweck sind, mehr nicht. Sie helfen dir dabei, tiefer in die Meditation einzutauchen und deine geistige Klarheit zu verbessern. Sobald du sie beherrschst, ist es wichtig, dich von ihnen zu lösen und allein auf die reinen Empfindungen und Erfahrungen während der Meditation zu konzentrieren.

Bruce Lee

Das oben angeführte Zitat ist eine Variation und wird Bruce Lee zugeschrieben, dem berühmten Martial-Arts-Kämpfer und Filmstar. Er ist bekannt für seinen damals einmaligen Kampfkunstansatz, der als „Jeet Kune Do“ (siehe unten) bekannt ist.

In seinem Denken war es wichtig, die Techniken zu lernen und zu perfektionieren, sie jedoch nicht als starre Regeln zu betrachten. Stattdessen soll der Kämpfer in der Lage sein, diese im richtigen Moment zu vergessen, um spontan auf die Bedürfnisse der aktuellen Situation zu reagieren.

Bruce Lee betonte die Bedeutung von Flexibilität und Improvisation im Kampf und dass die erlernten Praktiken keine Dogmen sind, sondern Mittel, um die eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Das Zitat "Zuerst erlernen wir die Kampf-Techniken, um sie nachher vergessen zu können" drückt diesen Ansatz sehr gut aus.

Und psychische Stärke?

Ebenso dem Gegner große mentale Kraft entgegenzustellen, ist keine Lösung. Denn es besteht immer die Gefahr, einem noch Stärkeren zu begegnen.

Seelische Struktur darf nie mit dem unerschöpflichen Energiestrome des Geistes verwechselt werden. Mentale Stärke ist situationsabhängig und endlich. Die Kraft des Geistes jedoch fliest wie ein Fluss, niemand kann ihn aufhalten. Auch kann ein Gegner, einmal in eine Klemme geraten, oft mehr Kraft entwickeln als sein Angreifer.

„Lasse ein Schlupfloch frei, wenn du eine Armee umzingelst. Wenn du den Feind zwingst, ohne Ausweg zu sein, wird er mit dem Todesmut der Verzweiflung kämpfen, den er hat nichts mehr zu verlieren. Bedränge einen hoffnungslosen Gegner nicht zu hart, gib ihm einen scheinbaren Ausweg und er wird sich freiwillig zurückziehen.“

Nach Sun Tzu in „Die Kunst des Krieges“, Kapitel 8 „Variationen in Taktik“

Keinen Widerstand leisten?

Bewusstes „Nichtwiderstehen“ kostet Kraft und Konzentration. Durch diese starre Fokussierung wird deine Wahrnehmung eingeschränkt und dein spontanes Handeln leidet.

Entledige dich stattdessen aller geistigen Zwänge, dann kann sich die Natur wirklich grundlegend manifestieren. Dann nimmt sie ihren eigenen Weg und agiert ihrem Wesen entsprechend in dir. Kein Schatten, kein Wanken, keine Lücke für euren Gegner ergeben sich dann. Dann bleiben deine Bewegungen spontan. (Wu-Wei)

Was bedeutet es zu kämpfen?

”Kämpfen ist die Kunst, sich in kritischen Situationen der Ursache von Leben und Tod bewusst zu sein.„

Ebendieses Buch

Ein Samurai muss sich dies stets vergegenwärtigen und sich ebenso einem spirituellen wie auch kampftechnischem Training unterziehen – er muss versuchen, die Ursache von Leben und Tod zu durchdringen.

Samurai vor dem aufgehenden Mond
Die Samurai – auch heute noch Vorbilder.
Image by Yatheesh Gowda from Pixabay

Hat er dieses Niveau des Daseins erreicht, ist er frei von jeglichem EGOISMUS. Er hegt keinerlei negative Gefühle, auch seinem Angreifer gegenüber. Er ist weder berechnend noch strategisch. Sein Geist befindet sich im Zustand des Nichthandelns, des absichtslosen Handelns und im Einklang mit seiner Umgebung.

Ist der Zustand des Nichtbegehrens erreicht, hat der Geist, von Natur aus formlos, keinen Gegenstand mehr. Das Ki, der Geist, die spirituelle Energie, breitet sich dann ungehindert aus, auf ausgewogene Art und Weise.

Wo das Nichtbegehren vorherrscht, findet sich der Geist nicht von einer einzigen Sache aufgesaugt oder abgelenkt, vielmehr transzendiert er omnipräsent zugleich Subjekt und Objekt.

Gibt es ein Ich – gibt es einen Gegner – gibt es einen Gegner – gibt es Krieg!

Nach ebendiesem Buch

Im Original heißt es: „Da es ein Ich gibt, gibt es auch einen Gegner. Gibt kein Ich mehr, gibt es auch keinen Gegner mehr.“ Ohne Ich, ohne Ego, kein Gegner. Wenn Ihr ein Wort, ein Etikett an die Dinge klebt, sie in eine feste und künstliche Form einsperrt, aus dem Wunsch sie begreifbar zu machen, scheinen sie Euch entgegenzustehen.

  • Männlich – Weiblich
  • Wasser – Feuer
  • Schwer – Leicht
  • Gut – Böse
  • Richtig – Falsch usw.

Sobald sich kein Urteil mehr in eurem Geist manifestiert, findet auch kein Konflikt mehr statt. Es existiert weder das Ich noch der Feind. Habt ihr das Gedankliche (Vor-Urteile, Dualismus) erst einmal hinter euch gelassen, kostet ihr den Zustand des absichtslosen Handelns! Dann findet ihr euch in der heiteren Harmonie mit dem Universum, dann seit ihr Eins mit Ihm – die Unio Mystica.

Ihr trefft keine Wahl mehr zwischen wahr und falsch, angenehm und unangenehm. Ihr habt euch befreit von der dualistischen Welt, wie sie euren Gedanken entspringt. Doch dringt nur ein winziges Staubkorn in das Auge ein, vermögen wir nicht mehr es offenzuhalten. So auch der Geist: Sobald ein Objekt, Ding, Gedanke, Urteil in Ihn eindringt, verliert er seine Macht.

Wenn Menschen Dinge als schön ansehen,
werden andere Dinge hässlich.
Wenn die Leute Dinge als gut ansehen,
werden andere Dinge schlecht.

Sein und Nichtsein kreieren einander.
Schwierig und leicht unterstützen einander.
Lang und kurz definieren einander.
Hoch und Tief bedingen einander.
Vorher und nachher folgen einander.

Deshalb handelt der Meister,
ohne etwas zu tun
und lehrt, ohne etwas zu sagen.
Dinge entstehen und sie lässt sie kommen;
Dinge verschwinden und sie lässt sie los.

Sie hat, aber besitzt nicht,
handelt, aber erwartet nicht.
Wenn ihre Arbeit getan ist, vergisst sie es.
Deshalb währt es ewig.

Tao the ching – Lao Tzu

Indem wir etwas als gut oder schön benennen, kreieren wir im selben Moment genau, das, was wir ablehnen. Das Negative, Finstere, Böse. Wir erschaffen Trennung, indem wir die Gemeinschaft hervorheben. Wir demütigen Menschen als „dumm“, wenn wir die „schlauen“ zu sehr belohnen…

„Ich würde eine Welt lieben, in der es gar kein Kriterium gäbe, keine Form und keinerlei Prinzip, eine Welt der absoluten Unbestimmtheit. Denn in unserer Welt sind alle Kriterien, Formen und Prinzipien schal.“


Emil Cioran: Auf den Gipfeln der Verzweiflung. FMM 1989, S. 86.
rumänischer Philosoph, Essayist, Nihilist (1911-1995)

Die letzte Wahrheit kann jeder nur ganz für sich allein erlangen. Es ist an Euch, die Wahrheit dieser Worte zu erproben. Schwierig ist, SICH bewusst zu machen, was in einem SELBST ist. Das Erwachen (Satori/Erweckung/Erleuchtung), ist nichts anderes, als über das eigene SEIN hinauszusehen. Es ist das Ende eines Traumes (Todesschlafes, Selbsttäuschung). Die Erweckung, die Verwirklichung des SELBST und über das Selbst hinaussehen – sind das Gleiche!

Die Kunst des Wu Wei 无为 – leben im Flow

Der Begriff stammt aus dem Taoismus und definiert sich als Nichthandeln im Sinne von Enthaltung gegen die Natur (der Dinge) gerichteter Aktionen.

Es begründet sich aus der daoistischen Auffassung vom Dao – „Die Lehre vom rechten Weg, das Prinzip, der Pfad“. Umfassender Ursprung sowie Wirkprinzip, das die Ordnung und Wandlung der Dinge bewirkt. Es wäre nicht weise, in das Walten dieses Prinzips Einfluss nehmen zu wollen.

Die letzte Wahrheit ist gemäß dieser Lehre eins und handelt spontan, ohne dass der Geist des Menschen in sie eingreifen müsste. Die Rückkehr zum Ursprung kann nur erfolgen, wenn wir das dualistische Denken aufgegeben wird und die Handlungen natürlich, spontan & intuitiv erfolgen lassen. Nichts erzwingen wollen, sondern liebevoll loslassen. Sein lassen. Alles darf gerade so sein, wie es ist. Handeln ohne Erwartungen. Absichtsloses tun.

Wu Wei zu leben meint, frei werden von dem Zwang sich entscheiden zu müssen. ES handelt durch mich. Das ist FLOW.

Henryk Hauptmann

Wu Wei bedeutet nicht, dass man gar nicht handelt, sondern dass die Handlungen spontan in Einklang mit dem Dao, der Natur, dem Universum, dem Geist, Gott entstehen. Dadurch wird das Notwendige leicht und mühelos getan und sowohl Übereifer als auch blinder Aktionismus vermieden.

Es ist ein Zustand der inneren Stille, der zur richtigen Zeit die richtige Handlung ohne Anstrengung des Willens hervortreten lässt.

Quelle: nach https://de.wikipedia.org/wiki/Wu_wei

„Niemals machen und doch bleibt nichts ungetan.“

Aus dem Taoismus

Fazit

Keine Ahnung wie oft ich dieses Buch schon gelesen hab. Viermal, fünfmal… es begeistert mich jedes Mal aufs Neue und ich erkenne immer wieder andere Aspekte des Lebens und der Kampfkunst. Den Absatz über Wu Wei habe ich, weil es mir passen erschien, hinzugefügt.

Für Leute die sich vielleicht erstmalig an die Wurzeln, Hintergründe und Philosophien der Kampfkünste ran tasten wollen, ein gutes Einsteigerbuch. 158 Seiten können locker an einem Nachmittag durchgelesen werden. Besser aber etwas verteilen, um es sacken zu lassen. Jedes Kapitel hat eine kurze Einleitung mit leicht verständlichen Erläuterungen und geschichtlichen Hintergründen.

Sehr zu empfehlen. Keep on fighting.

Jeet Kune Do (JKD)

Bruce Lee erschuf um 1967 eine Synthese aus verschiedenen Kampfstilen, einschließlich Wing Chun Kung-Fu, Fechten, Jūjutsu und Boxen, welches in einem realen Kampf auf größtmögliche Effizienz ausgerichtet ist: Jeet Kune Do (JKD – 截拳道 – Jié quán dào). Dies ist eine konzeptbasierte Philosophie mit Leitprinzipien. Eine Mischung aus Kampfkunstsystem(en) und Lebensphilosophie. Grundlegend sind für ihn: Einfachheit, Direktheit und Freiheit (die Form ohne Form). Im weiteren Fokus des fortlaufenden Lernprozesses stehen Effektivität, Improvisation, Flexibilität und eine offene Einstellung.

Er selbst bezeichnete es als „The Way of the intercepting Fist“ - „Der Weg der abfangenden Faust“. Nach dem Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung“, meint dies die Absicht oder den Angriff des Gegners durch schnelles und effektives Handeln „abzufangen“, bevor er ihn ausführt. Damit der Angreifer im Nahkampf agieren kann, muss er sich dem Ziel nähern. Dies bietet der angegriffenen Person die Möglichkeit, die vorstoßende Bewegung durch eine starke Offensive abzuwenden.

Da Lee viele traditionelle Kampfstile als starr und beschränkt ansah, entwickelte als Alternative „sein“ Jeet Kune Do. Es war kein festgelegter Stil, vielmehr handelte es sich um eine Reihe von Prinzipien. Diese sollen den Praktizierenden helfen, sofortige Urteile und Entscheidungen zu treffen, das Selbst auf körperlicher und geistiger Ebene zu verbessern sowie entsprechende Handlungsreaktionen oder Gegenangriffe durchzuführen. Es ist so konzipiert, dass es auf die individuellen Stärken, Bedürfnisse und Fähigkeiten einer Person abgestimmt werden kann. Es legt besonderen Augenmerk auf die Verwendung von Bewegungen, die natürlich und instinktiv sind und auf Techniken, welche auf die spezifischen Erfordernisse einer konkreten Situation zugeschnitten sind.

"Be Water my friend" (Transkription)

Er betonte, dass jede Situation, ob im Kampf oder im Alltag, unterschiedlich sei. Um den Sieg zu erringen, ist es daher unerlässlich, nicht starr zu sein, sondern fließend und anpassungsfähig. Lee verglich es damit, wie Wasser zu sein.

Bruce Lee selbst legte großen Wert auf Selbstverteidigung, Beweglichkeit und geistige Klarheit. In seinem Denken ist JKD als lebendiger, sich ständig weiterentwickelnder Prozess zu verstehen, denn als starres Regelwerk (kein Limit als Limit). Für ihn war es nicht nur eine Kampfkunst, sondern vor allem eine Lebensphilosophie, die sich auf das Streben nach Selbstvervollkommnung und die Entwicklung von Geist und Körper konzentriert.

R.I.P ❤️ 🙏🏼

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One thought on “„Die Kunst zu siegen, ohne zu kämpfen“

  1. Berufsverband der Budo-Pädagogen und Budo-Pädagoginnen (BvBP) e.V.
    Internationaler Dachverband

    Ralf Gelowicz 63796 Kahl/Main Eichenweg 2 06188/900079 18.12.2020

    Sehr geehrter Herr Henryk,

    bei unserer Internetrecherche zum Thema Budo/Kampfkunst und Pädagogik ist uns auf
    Ihrer Seite https://www.lerne-kaempfen.de/blog/kampfkunst/die-kunst-zu-siegen-ohne-zu-kaempfen/ aufgefallen, dass Sie sich intensiv mit dem
    Thema: „Die Kunst zu siegen, ohne zu kämpfen“ auseinandersetzen.
    Bei Ihrem offensichtlichen Engagement und Interesse an diesem Berufsfeld, können Sie
    sich gerne bei uns qualifizieren und Ihre Angebote entsprechend professionell
    vermarkten.
    Dann könnten Sie offiziell und anerkannt Ihre Arbeit auf hohem Niveau intensivieren.
    Daher scheuen Sie sich nicht, sich für die Weiterbildung zum
    Budopädagogen zu bewerben.
    Die Ausschreibung mit weiteren Informationen befindet sich auf der Homepage des Instituts für Budopädagogik und Budotherapie:
    https://budopaedagogik.de/?page_id=73
    Sowie auf der Homepage des Berufsverbandes: https://bvbp.org/weiterbildung/
    Bei Fragen einfach mal melden…

    Weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Kampfkunst und bleiben Sie gesund!!

    Mit freundlichen Grüßen aus Kahl am Main

    Ralf Gelowicz
    1. Vorsitzender BvBP e.V.
    Berufsverband der Budo-Pädagogen und Budo-Pädagoginnen (BvBP) e.V.
    Internationaler Dachverband – http://www.bvbp.org info@bvbp.org

    Neuer Ausbildungsgang Budopädagogik. Bewerbungsfrist bis 31.12.2020!

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